Unsinn 2.0 – Warum sich manch ein Kulturbetrieb mit webzweinulligen Marketing selbst ins Bein schießt

Gerade habe ich eine Einreichung für das Unwort des Jahres 2009 abgeschickt: Zweinull. Ja, ich kann es eigentlich nicht mehr hören. Um es gleich vorab zu sagen: ich hab nichts gegen Web 2.0 – ganz im Gegenteil. Aber wenn ich heute Mitarbeiter aus Theaterbetrieben, Museen oder Hochschulen voller Begeisterung über das „neue Web 2.0″ reden höre, kommen mir die Tränen. Das „neue“ Web 2.0? Mein Gott, es ist ein alter Hut, wir hatten Euch davon doch schon vor drei – ach – vier Jahren erzählt, erinnert Ihr Euch nicht mehr? Damals mussten wir Euch in unseren Vorträgen noch erklären, was  YouTube ist, was man unter einem Blog versteht und was es mit dieser UGC-Geschichte auf sich hat. Ja, ja, Ihr erinnert Euch nicht mehr, weil Ihr uns damals nicht ernst genommen hattet. „Nur wieder so ein kurzer Hype, morgen ist der vorbei“, „Über YouTube redete in zwei Jahren niemand mehr, weil es ja das Fernsehen gibt“, „Blogs sind was für ein paar verrückte Selbstdarsteller und werden nie den Journalismus verändern“ – ja, das sind einige Eurer Reaktionen gewesen, die habe ich mir gemerkt. Aber heute steht Ihr ganz stolz da: Unser Theater ist in YouTube! Unser Museum hat ein Blog! „Wie viele Beiträge haben Sie in denn in ihrem Museums-Blog in den letzten Wochen geschrieben?“ erlaubte ich mir darauf vor kurzem den Leiter der Öffentlichkeitsarbeit zu fragen. „Um ehrlich zu sein: keinen. Ich habe nicht mal ein Passwort dazu. Das macht alles unser Praktikant. Aber der druckt mir immer die Artikel aus und ich lese sie Korrektur“. Bravo, großartig! Web 2.0 ist also im Kulturbetrieb angekommen, oder?

Es ist etwa so, wie wenn mir jemand nach der halbherzigen Lektüre von Faust II erzählt, dieses Schauspiel sei genial in Vergleich zu Faust I. Aber – und das ist der Witz – er hat den ersten Teil der Tragödie nie gelesen. Und so ist’s doch leider viel zu oft im Kulturbetrieb: Nicht mal das klassische Online-Marketing („Web 1.0″) haben die verstanden. Performance-, Newsletter-, Suchmaschinen- Marketing, Monitoring, eCRM – ach, Ihr wisst was ich meine: die Basics, die teilweise schon seit zehn Jahren zum Standardprogramm gehören sind meist noch ein Fremdwort (oder ein Pfuiwort). Und trotzdem stürzen sie sich nun ins Social Media Marketing. Das wird ein Spaß. Und ein Reinfall. Und ich weiß auch schon, wer dann daran schuld sein wird. Wir werden’s sein, die Webzweinuller.

Kann man was dagegen machen? Nein. Oder vielleicht: mehr „Faust 1.0″ empfehlen?

4 Antworten zu “Unsinn 2.0 – Warum sich manch ein Kulturbetrieb mit webzweinulligen Marketing selbst ins Bein schießt

  1. Pingback: Online-Marketing im Kunst- und Kulturbereich: social und so « Das Kulturmanagement Blog

  2. Jammern 2.0

    Wer schon vor 2.0 Jahren das Web 2.0 so begeistert propagierte, dass er frustriert ist, dass seine Mission erst nach 2.0 Jahren beim Volk für Begeisterung 2.0 sorgt, der ist leider mit Naivität 2.0 geschlagen. Ausserdem ist das Web 2.0 schon wieder absolut out. Das Web 2.63 ist echt wirklich megageil abgefahren.

  3. Oh ja, das gebe ich zu, ist Jammern 2.0 – aber erzähl mal mehr über Web 2.63, da bin ich noch unterinformiert?

  4. Pingback: Axel Kopp » Blog Archive » Die Henne-Ei-Frage: Erst die Organisationskultur ändern oder erst mit Social Media anfangen? Ein Kommentar.

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