Warum scheuen Kulturbetriebe die Nutzung des Web 2.0?

Diese Frage wird derzeit in der Blogosphäre vielfach diskutiert (aktuell etwa im Kulturmanagement-Blog, auf Audience+ oder Annarentsch20), denn obwohl die Forschung im Bereich „Kultureinrichtungen im Internet“ sich in den letzten Jahren auf sehr praxisnahe Fragestellungen fokussiert hat, etwa wie die optimale Museums-Website zu gestalten sei oder wie Web 2.0-Dienste und -Tools für Besucherbindung, Kulturmarketing und Kunstvermittlung eingesetzt werden können, sind diese Vorschläge von Kulturbetrieben nur zögerlich aufgegriffen worden.

Meine Antwort unterscheidet sich jedoch grundsätzlich zu vielen anderen: Es liegt daran, dass bisher die theoretische Reflexion über die grundlegende Problematik, der Spannung zwischen Kunst-, Kultur- und Internetpraxis, nahezu vollkommen ausgeklammert wurde.

Bislang erklären vor allem Marketingexperten, Informatiker und Betriebswirtschaftler den Mitarbeitern der Kultureinrichtungen, wie und warum das Internet einzusetzen sei. Die traditionell eher technikskeptischen Kulturschaffenden sind mit deren „kulturfernen“ Argumenten meist nur schwer zu erreichen, da sie in der Regel über einen künstlerischen, kultur- oder geisteswissenschaftlichen Background verfügen, in dem zwischen ‚Technik’ und ‚Geist’ in romantischer Tradition ein problematischer Gegensatz gesehen wird.

Es lohnt deshalb ein kurzer Blick ins 19. Jahrhundert: 1835 diktierte Goethe Eckermann einige Gedanken zur damals brandneuen Technik, der Eisenbahn: „junge Leute werden viel zu früh aufgeregt und dann im Zeitstrudel fortgerissen; Reichtum und Schnelligkeit ist, was die Welt bewundert und wonach jeder strebt; Eisenbahnen, Schnellposten, Dampfschiffe und alle möglichen Fazilitäten der Kommunikation sind es, worauf die gebildete Welt ausgeht, sich zu überbieten, zu überbilden und dadurch in der Mittelmäßigkeit zu verharren. Und das ist ja auch das Resultat der Allgemeinheit, dass eine mittlere Kultur gemein werde.“

Sind es die „Fazilitäten der Kommunikation“, die jede „Kultur“ durch „Mittelmäßigkeit“ zur Bedeutungslosigkeit verdammen? Die Schnelligkeit, der Reichtum (zeitgemäßer: die Kommerzialisierung) führen zu Verflachung und zum Verlust der eigentlichen Inhalte – so zumindest Goethe.

Es wären hier viele andere Beispiele aus dem Diskurs der „Geisteswissenschaften“ des 19. und 20. Jahrhundert aufzuzählen, aber die Parallele zu der Bewertung der neuen Technologien im 21. Jahrhundert ist bereits ersichtlich, Kritik am Web 2.0 kommt aus ähnlichen Lagern wie vor zweihundert Jahren.

Es scheint also auf einem ähnlichen Fundament zu beruhen, warum Goethe nicht von der Eisenbahn überzeugt werden konnte und warum man heute einen Museumsdirektor von den „Fazilitäten der Kommunikation“ des Web 2.0 nur schwer begeistern kann. Die ständig herangetragenen Argumente der hohen Kosten, des fehlenden Personals, der mangelnden IT-Infrastruktur oder der juristischen Problematik ist nicht die Hauptursache, die diese abhält, zu twittern oder zu bloggen. Für Kulturschaffende geht es scheinbar unbewusst nicht primär darum, sondern um das „Prinzip“ – oder genauer: um die theoretische Fundierung.

So ist beispielsweise festzustellen, dass sich viele Kritiker indirekt auf kunst- und kulturtheoretische Argumente berufen, um darzulegen, warum das Medium Internet für die zentralen Aufgaben eines Museums eigentlich nicht geeignet sei.

Da sich beispielsweise in einem virtuellen Museum keine materiellen Objekte ausstellen lassen, sondern nur deren Abbilder, können Vertreter essentialistischer Kunsttheorien (etwa mit einem auratischen Kunstverständnis) ein virtuelles Museum als Ort der Präsentation von Kunst konsequenterweise nur ablehnen. Wie in diesem Beispiel deutlich wird, ist das Problem also nicht das neue Medium, sondern die vertretene Kunst- oder Kulturtheorie, die mit der Internetpraxis als unvereinbar und „inkompatibel“ dargestellt wird. Ein Plädoyer für den Einsatz des Internets im Kulturbereich muss also bereits bei der Auseinandersetzung mit der Kunst- und Kulturtheorie ansetzen und zeigen, dass diese und die aktuelle Internetpraxis durchaus „kompatible“ Konzepte sind.

Und dafür gibt es etliche Beispiele. Von der Antike über Nietzsche, von Brechts Radiotheorie bis hin zu Derrida lassen sich eine Vielzahl mit aktuellen Internetpraktiken kompatible Formationen erkennen: So sind etwa Hierarchien auflösende Tagclouds und Wissensrepräsentationen in Wikis die konsequente Umsetzung der von der postmodernen Kunstphilosophie bereits in den 70er Jahren formulierten Idee des Rhizoms (Deleuze/ Guattari). Die Idee der Anschlussfähigkeit, der Kommunizier- und Diskutierbarkeit ist ein im Kunstdiskurs vielbehandelter Topos, der die „Kompatibilität“ zur Internetpraxis des Web 2.0 ebenfalls verdeutlicht.

Was hier nur ansatzweise angedeutet werden kann, wird eine derzeit in Arbeit befindliche Studie im Detail erarbeiten. Die Grundidee sollte jedoch schon hier ersichtlich werden: Um Kulturinstitutionen letztendlich von der Idee des Web 2.0 zu überzeugen muss auch über das kunst- und kulturtheoretische Fundament nachgedacht werden.

Eine detailliertere Ausführung dieser Überlegung erscheint in Kürze in dem Sammelband „Kultur 2.0“ im Transcript-Verlag, für 2011 ist die Publikation der gesamten Studie geplant; andere Texte zu diesem Themenfeld finden Sie hier.

11 Antworten zu “Warum scheuen Kulturbetriebe die Nutzung des Web 2.0?

  1. Dem kann ich grundsätzlich zustimmmen, wobei ich zur Zeit an einer Umfrage arbeite, die Kulturinstitutionen zu der Nutzung des Web 2.0 befragt. Prinzipiell kennen fast alle Einrichtungen (dabei handelt es sich um Theater/Museen) Social Media (in der Umfrage arbeitete ich mit diesem Terminus). Von diesen halten ca. 39% diese Kommunikationsform für eher wichtig.Jedoch nutzen nur 30% der Institutionen, die geantwortet haben, das Social Media. Die, die es nicht nutzen, gaben an, dies aus Zeitmangel nicht zu tun oder aus Unkenntnis an der Materie. Nur knapp 9% klagten über fehlendes Fachpersonal.
    Aber der Aspekt mit einem Verständnis für Kultur und Kunst an die Beratung von Institutionen zu gehen, ist ein cleverer Zug, denn sie fühlen sich in ihren Bedürfnissen verstanden und in ihrem Bildungsauftrag nicht verletzt.Und vor dem Nicht-Verstanden-werden haben viele Institutionen Angst, da sie ihre ihren Auftrag nich untergraben möchten.

  2. Aus der Kunst- und Kulturtheorie und dem öffentlichen Auftrag ergibt sich das Organisationsziel einer Kultureinrichtung.
    Wie Social Media zum Organisationsziel beitragen kann, kann man prüfen / argumentieren.
    Oder?
    Ich versuche mich dem Thema über die Schiene Organisationskommunikation zu nähern.

    Ansonsten glaube ich, dass Kultureinrichtungen (zumal im öffentlichen Dienst) – wie so oft – einfach nur langsamer bei der Einführung von Innovationen sind. Bedenkenträger halt

  3. Was für eine charmante Fehleinschätzung von Goethe! 🙂 Ich denke, dein Punkt ist sehr wichtig. Die hemdsärmeligen Herangehensweisen, die viele Web 2.0-Berater und -Evangelisten dabei vertreten, wirkt dann umso abschreckender. Allerdings würde mich interessieren, ob es gute Beispiele gibt, wo die grundsätzliche Kompatibilität, von der du ausgehst, auch überzeugend und „kulturtheoretisch fundiert“ umgesetzt wurde?

  4. die frage ist jetz, was hat das moeglicherweise fuer konsequenzen in der lehre, kunstgeschichte, medientheorie etc…. wenn all die technologischen tools (hilfsmittel) erstmal bis ins kleinste nach theoretischem fundament untersucht wird sind die tools moeglicherweise garnicht mehr online 😉
    we absolutely must learn that when we study things to death, that death was not our original goal.
    the risk today is in action and in not moving forward fast enough…..

  5. Danke für die interessanten Überlegungen und Hinweise. Noch ein paar weitere Gedanken: Die ganzen poststrukturellen Referenzen sind ja in der Kunstpraxis in den letzten Jahren ordentlich durchgenudelt worden, vor allem in der elektronischen Literatur als auch in der sogenannten Medienkunst insgesamt. Enstprechend sind die Medienkünstler im Web 2.0 längst angekommen, wenn nicht aufgewachsen und ich denke mal ihre Rezipienten und Kritiker auch. Vielleicht gibt sich das Problem ja auch, wenn die Unterscheidung zwischen Kunst und Medienkunst endlich verschwindet. Die Medienkunst war anfangs oft auch mit dem Attribut „neue“ versehen. Mittlerweile ist für viele junge Künstler das Digitale nicht mehr neu sondern ein normaler Bestandteil des Medienrepertoires und irgendwann wird es die Unterscheidung Kunst/Medienkunst nicht mehr geben. Im gleichen Zug werden Künstler, Rezipienten, Kritiker und Kuratoren, die sich heute noch oft in Nischen bewegen, im Kunstmainstream aufgehen. Damit wird dann hoffentlich auch die Akzeptanz von Social Media im Kulturkontext weiter wachsen.

  6. @annarentsch Das ist interessant, nur 9% klagen über fehlendes Fachpersonal… eigentlich kaum zu glauben aber ein Indiz dafür, dass viele Kulturbetriebe noch gar nicht gemerkt haben, um was es geht … sobald dies erfolgt ist werden sie sehen, wie sehr das „Fachpersonal“ fehlt, oder?

    @wehweh: Ja, ein interessanter Ansatz (ich lese bereits seit einiger Zeit Dein Blog). „Bedenkenträger“ stimmt, ist ja auch manchmal nicht verkehrt – aber nun war die Bedenkzeit ja eigentlich schon lang genug, oder?

    @kulturblog: Ja, die „hemdsärmeligen Herangehensweisen“ 🙂 Ich habe viele detaillierte Beispiele für diese Kompatibilität und ich werde hier bei Gelegenheit das eine oder andere posten.

    @klischnet: Keine Frage, man muss schnell sein und darf nicht alles „totforschen“. Aber manchmal sollte man sich (zumindest im Bereich der Hochschule) schon die Zeit nehmen, zumindest auf der „Oberfläche“ dies zu prüfen, oder?

    @axel Vielen Dank für den Hinweis, das ist tatsächlich ein guter Vergleich, den ich so noch gar nicht intensiv verfolgt habe. Ich bin mir jedoch nicht ganz sicher, aber ich glaube, die Medienkunst hat (leider) einen zu geringen Einfluss auf den „allgemeinen“ Kulturdiskurs und ich weiß nicht, inwieweit durch diese Entwicklung Impulse zu erwarten sind?

  7. @simon, richtig, dafeur ist eine HS auch da! unbenommen, wenn aber das resultat ist, sich nicht damit zu bescaeftigen find ichs schon etwas schwierig…
    @axel, ich glaube nicht das kuenstler im internet oder gar im social web oder web2.0 angekommen sind. eine laengere beschaeftigung mit dem thema hat ergeben, das es so gut wie keine kunst im/mit dem medium internet gibt. es wird nur kunst ueber das internet abgebildet, aber das mit dem medium kunstprodukte selber entstehen. findet defacto nicht statt.
    aber das ist auch eine andere diskussion neben der allergie von kultureinrichtungen zum sw….

  8. Ich verstehe nicht warum ihr die Kulturbetriebe anhalten wollt, Web 2.0 zu nutzen? Das wird doch tot langweilig. Und dann eure Analysen, warum andere Leute etwas nicht tun. Das ist Zeitverschwendung. Macht es selber! Eurer Herumnörgeln an Kulturbetrieben, zeigt nur, wie einfallslos ihr seid, um etwas selber umzusetzen. Unsinnige Statistiken, ob etwas am Personl liegt oder an der Technik. Natürlich ist es der Geist, die Idee, was man unter Kunst versteht der Grund, warum Web2.0 von Kulturbetrieben nicht genutzt wird. Wollt ihr sie etwa umerziehen? Sie unter Druck setzen? Demonstrieren gehen und rufen ‚Tut das was wir besser wissen.‘
    Mal ein kleiner Tip an euch WEb2.0 Besserwisser und fast schon Bürokraten … schaut euch mal den Link dieser Seite an : /2010/05/18/warum-scheuen-kulturbetriebe-die-nutzung-des-web-2-0/ Und fällt euch da was auf? Ich sag nur, so etwas durchsucht keine Suchmaschine. Soviel zur Reichweite eurer Kritik.

  9. @martin Vielen Dank für Deinen Kommentar. Auf der einen Seite finde ich es ja nett, dass sich auch jemand, der nicht aus dem Kunst- und Kulturbereich kommt einmischt und seine Meinung sagt. Auf der anderen Seite finde ich es auch fehl am Platz. Bevor ich einen Kommentar in Deinem Blog, der sich scheinbar um „Beauty“ und „Handwerk“ dreht, schreiben würde, würde ich mich erst in dieser „Szene“ informieren, wer da schreibt und diskutiert, bevor ich anfange, zu schimpfen. Sonstig wird’s nämlich meist peinlich.

  10. @ Simon A. Frank: Ich lese gerade ihren Aufsatz in „Kultur 2.0“. Sie erwähnen in ihrer Argumentation nur schlagwortartig und, um es auch mal ein bisschen kurz (und poemisch) zu sagen, gleich einer Anreihung von Stammtisch-Sätzen Wörter wie „schreibbarer“ „lesbarer“ Text. Umberto Eco, Roland Barthes, …
    1. Haben sie auch mal weitergelesen in der Geschichte der rezeptionstheoretischen Ansätze, Praktiken? Kennen sie z. B. Rainer Warning und Peter Matussek?
    2. Haben Sie irgendeine Vorstellung von dem, was nach Beuys und Fluxus mit der Kunst geschah und ihrer Auseinandersetzung mit ihren Theoretikern der 70’er?
    3. Sie stellen in ihrem Text Kulturschaffende dar, als seien sie allesamt einfach nur antiquierte, im Geist der Romatik zurückgebliebene Vollesel. Wer mit solch einer Grunddefinition eines modernen Kunst- und Kulturschaffenden beginnt und dann noch allen Ernstes diese dann mit läppisch aneinandergereihtem Therielabskaus beeindrucken will, der hat ja nunmal grundlegend irgendwas nicht verstanden. Das tut mich traurig. Ährlisch.
    4. Ich gratuliere ihnen zu dem Satz:
    „Diese Doppelkodierung des Akronyms UGC (User-generated Culture) ist eine gewisse Provokation zu einem Spiel der Differenzen, die zu einer erneuten Lektüre der kunst- und kulturtheoretischen Texte anregen soll.“
    Er hat ihnen sicher Jahre der Forschung genommen und wir alle sind ihnen sehr dankbar für den Tipp!

  11. Hallo Regina, vielen Dank für Ihr Feedback. Die Kritik kann ich voll und ganz nachvollziehen, weiß jedoch nicht, ob sie ganz fair ist. Da in der Kürze, die in dem Sammelband „Kultur 2.0“ die Vorgabe war, wirklich nur „Namedropping“ möglich ist, geht es leider nicht anders (oder genauer: ich kann das leider in aller Kürze nicht besser). Die Antwort zu Ihren Anmerkungen werden Sie hoffentlich in meiner ausführlichen Darlegungen zu diesem Thema (die im Laufe des nächsten Jahres erscheinen wird) finden. Ich setzte Sie schon jetzt auf die Liste der Personen, die ein (kostenloses) „Rezensionsexemplar“ bekommen, da ich solch kritisches und aufmerksames Lesen schätze und mich über Ihre Meinung freuen würde. Nur kurz zu 3., da kann ich nur sagen: Nein, das ist keine Absicht, den gesamten Kulturbetrieb als „antiquiert“ darzustellen, ganz im Gegenteil. Ich sehe hier mehrere Einflüsse und Positionen und habe dies auch so geschrieben (wenn ich mich richtig erinnere), im groben etwa vier Gruppen, aber Details dazu mussten aus dem kurzen Beitrag ebenfalls rausfallen. Ach ja und „Theorielabskaus“ ist gut – da kann ich nur sagen: Danke für den Fisch!

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